Magersucht und Bulimie
Magersucht ist eine schwere Erkrankung, die unterhalb eines gewissen Gewichts tödlich sein kann. So informierten am Montag, den 24. April, Monique André, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie aus Neu-Anspach sowie die Ernährungswissenschaftlerin Petra Margraf aus Bad Nauheim im Lehrsaal des Roten Kreuzes in Erbach zu den möglichen Auslösern, Folgen und Therapieansätzen. Unter dem Vortrag mit dem Titel „Iss was?! – Wenn essen zum Problem wird“ behandelten sie ebenso die verwandte Bulimie, also die Ess-Brechsucht.
Gekommen waren auf Einladung der DRK-Selbsthilfe Betroffene, Angehörige und am Thema interessierte Gäste. „Je frühzeitiger und gezielter Essstörungen behandelt werden, desto besser sind die Heilungschancen“, wusste die Medizinerin.
„Verschobene Vorstellungen über das eigene Aussehen und falsche Schönheitsideale machen den Spiegel zum Feind.“
Monique André, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie
Und diese Störungen begönnen oft in frühester Jugend, immer häufiger seien es bereits Kinder, die mit diesen Schwierigkeiten konfrontiert würden. Anorexie, also die Magersucht, bedeute „Essen sparen“, erläuterte André und betonte, dass dies häufig schleichend beginne: „Verschobene Vorstellungen über das eigene Aussehen und falsche Schönheitsideale machen den Spiegel zum Feind.“ Man fühle sich permanent zu dick und reduziere durch Sport oder auch mittels Einnahme von Medikamenten sein Gewicht immer weiter. Irgendwann sei es nicht mehr möglich, die Abwärtsspirale zu stoppen.
Liebevolle oder auch restriktive Zuwendung seitens der Eltern griffen nicht mehr. Meistens zeigten Mädchen, aber auch immer öfter Jungs, dieses häufig von Scham behaftete Krankheitsbild. Den Patienten erscheine das Abnehmen als Erfolg und werde von ihnen als positiv gewertet. Zudem lenkten jene Strategien von anderen unangenehmen Themen ab. „Oft stecken ein gestörtes Selbstwertgefühl, familiäre Probleme und damit eine Fluchtreaktion als Auslöser hinter der Erkrankung.“
Dabei halte eine gestörte Kommunikation das System am Laufen und befeuere es ständig. Die Magersucht werde zum Selbstläufer und bedürfe nun dringend ärztlicher und therapeutischer Hilfe. „Denn ab einem Bodymaßindex von 14 oder 13 kann dies tödlich sein, da sich die biochemischen Prozesse umstellen“, warnte die Psychiaterin. Weniger sichtbar, da oft nicht mit extremer Magerkeit verbunden, sei die verwandte Ess-Brechsucht, bei der man sich durch Fressattacken besser spüre, dann aber Schuldgefühle entwickele und die Nahrung mittels Finger im Hals in der Toilette entsorge. Eine genaue Abgrenzung der zwei Krankheitsbilder bewertete sie als schwierig, da sie oft ineinandergriffen.
Therapeutisch habe man die Möglichkeit der ambulanten Therapie, wenn keine Selbstgefährdung vorliege und die Betroffenen psychisch und physisch stabil seien, erläuterte die Ernährungswissenschaftlerin Petra Margraf. Positiv sei das gewohnte Umfeld, doch dauere die Bewilligung durch die Krankenkassen sehr lange. Der Aufenthalt in einer Tagesklinik schaffe Strukturen mittels Sportprogramm zum Stressabbau, garantiere die Anwesenheit von Medizinern und sei ebenso mit der Empfehlung von Selbsthilfegruppen verbunden.
„Wer aber Selbstmordgedanken hegt oder körperlich extrem abgebaut hat, muss in stationäre Behandlung, die im Extremfall auch eine Ernährung durch Sonde sicherstellt“, sagte Margraf. Auch werde dort ein tieferes Verständnis der Erkrankung ermöglicht. Bei allen Formen gehöre aber die Bereitschaft dazu, etwas ändern zu wollen. Da sei der Patient gefordert.
Kritisch beurteilte die Fachfrau sogenannte Diäten, wie das Intervallfasten: „Das ist eines meiner Lieblingshassthemen. Leistung braucht Energie, also Eiweiß und Fett, aber vor allem Kohlehydrate. Auch ohne Sport verbraucht das Gehirn täglich 130 bis 140 Gramm Zucker.“ Hilfreich und strukturgebend könne ein Ernährungstagebuch sein: „Wie, was und wann esse ich?“ Sicher sei, dass es nicht normal ist, überhaupt keinen Hunger zu haben. Therapeutisch bedürfe es oftmals des Aufbrechens festgebackener Strukturen und der Aktivierung der Geschmackssinne. „Man muss essen neu lernen.“ Dabei sei eine therapeutische Begleitung unverzichtbar. Im Anschluss an das Referat konnten die Gäste Fragen stellen.
Informationen zu qualifizierten Beratungsstellen erteilt die DRK-Selbsthilfe unter Tel. 06062 / 607-601 oder der E-Mail: selbsthilfe@drk-odenwaldkreis.de. Weitere Informationen zum Thema auch unter www.selbsthilfe.drk-odenwaldkreis.de.